Tabea Farnbacher: überwintern
Wildlederfein
Es beginnt mit „wunden über denen längst fell wächst“, und es endet mit der Versicherung, „noch/ so viele andere worte“ zu haben. Wofür? Für das Gleiche, für Verletzungen, – aber aus dem scheuen Tier des ersten Gedichts, das nicht aufhören kann, seine Wunden zu lecken, dass sich mit seufzenden Holzfasern befreundet und sich nach jemandem sehnt, der „die schwere vom Fell“ streicht, ist 36 Gedichte weiter eine geworden, die zum Schein verspricht, brav zu sein, etwas scheinbar Böses „nie wieder“ zu sagen – aber nur, weil sie weiß, sich nicht wiederholen zu müssen: Im Köcher sind „noch/ so viele andere Worte“.
Mit den 37 Gedichten von Tabea Farnbacher geht es also um eine Entwicklung oder besser: Es geht auf eine poetische Reise.
Unterwegs finden wir Gedichte zum Überwintern, solche, die helfen, den Frost des Alltags zu überstehen. Wörter werden auf ihren Wärmegrad, ihre Trostfähigkeit untersucht, sanft rückt Tabea Farnbacher den Wörtern buchstäblich aufs Fell: Wir finden, immer wieder, kleine Tiere, Eichhörnchen und Katzen, ja sogar „Kätzchen“, so steht es gleich dreimal im Diminutiv. Wir finden das Thema Mutterschaft, die Sehnsucht danach und entsprechend, Erinnerungen an die früheste Kindheit, aber man soll sich nicht täuschen lassen: Obwohl durchaus gejubelt wird: der himmel sind wir und die mütter“ heißt es doch gleich im nächsten Vers: „wir tragen schwer und wir legen nie ab.“ Der Reim, der diesen Gedichten fehlt, wird durch ihren Atem, ihre Luftigkeit ersetzt – und tatsächlich ist der Atem eines der wichtigsten Motive. Es wird mit naturwissenschaftlicher Gründlichkeit eingeführt, nicht dem dichterischen „Odem“ zugeordnet, sondern seinem Organ, der Lunge, „ein paariges organ/ das aus zwei flügeln besteht“ – und gleich zeigt sich die Begeisterung der experimentierfreudigen, gelernten Psychologin für diesen Teil des Körpers: „die lunge ist das einzige organ/ das oben schwimmt/ wenn man es entfernt und auf wasser legt/ der atem ist ein kleines schiff…“ Der Atem beflügelt im Wortsinne mehr als es die zuvor beschriebene Tränen oder die Haut vermögen. In diesem Schlüsselgedicht fallen weitere wichtige Begriffe: die tiefen Wasser, das sanfte Fließen.
In der Reihe 10 Jahre Literaturhaus Dortmund (Neuer Graben)
Foto Farnbacher © Achilles