Ein Abend für Oleg Senzow – reloaded
Вечір з Олегом Сенцовим – перевантаження
Oleg Senzow: Haft / Serhiy Zhadan: Antenne. Ein ukrainischer Abend mit aktuellen Texten von Oleg Senzow und Serhiy Zhadan, gelesen von Daniel Berger. Zu Gast ist die Übersetzerin beider Werke: Claudia Dathe.
Олег Сенцов: «Хроніка одного голодування і 4 з половиною кроки» / Сергій Жадан: Антена. Український вечір з актуальними текстами Олега Сенцова та Сергія Жадана, читає Даніель Берґер. Гість – прекладачка обох творів: Клаудіа Дате.
Im Januar 2020 veranstaltete das literaturhaus.dortmund einen Abend mit dem ukrainischen Filmemacher, Autor und Sacharow-Preisträger Oleg Senzow und dem ukrainischen Autor, Lyriker und Musiker Serhiy Zhadan. Als Gedenk- und Protestveranstaltung für den damals noch in russischer Lagerhaft befindlichen Oleg Senzow geplant, wurde aus einem Abend für Senzow, ein Abend mit Senzow. Während der Podiumsdiskussion u.a. zur Krim-Annexion und nach den Perspektiven für den Frieden in der Ost-Ukraine befragt, zeichneten beide, Oleg Senzow und Serhiy Zhadan, ein mehr als düsteres Bild für die nahe Zukunft. Heute wissen wir, dass diese äußerst bedrohliche und beklemmende Einschätzung der Lage, furchtbare Wirklichkeit geworden ist.
У січні 2020 року literaturhaus.dortmund влаштував вечір з українським кінорежисером, автором та Лауреатом Премії Сахарова Олегом Сенцовим та українським автором, поетом та музикантом Сергієм Жаданом. Захід, присвячений пам’яті та протесту проти утримання на той мемент ще в російському ув’язненні Олега Сенцова, перетворився із вечора для Сенцова на вечір за участю Сенцова. Під час панельної дискусії, відповідаючи на питання також щодо анексії Криму та переспективи миру на Сході України, обидва, Олег Сенцов та Сергій Жадан, змалювали більш ніж похмуру картину близького майбутнього. Сьогодні ми знаємо, що ця вкрай загрозлива та гнітюча оцінка ситуації стала жахливою реальністю.
Anknüpfend an jenen Abend im Januar 2020 liest der Schauspieler Daniel Berger sowohl aus Oleg Senzows neuestem, autobiographischen Roman Haft, ein Tagebuch seiner Lagerhaft, das auch eine Aufzeichnung seines Hungerstreiks ist und im vergangenen November auf Deutsch erschien, als auch aus dem Lyrik-Band Antenne von Serhiy Zhadan, der im Sommer 2020 auf Deutsch erschien und für den die Übersetzerin Claudia Dathe mit dem Drahomàn Preis ausgezeichnet wurde.
Як продовження того вечора у січні 2020 року, актор Даніель Берґер читає з табірного щоденника «Хроніка одного голодування» та збірника оповідань «4 з половиною кроки» Олега Сенцова, щоденника його ув’язнення, який також описує його голодування та вийшов німецькою мовою минулого листопада, а також з поетичної збірки «Антена» Сергія Жадана, яка з’явилася німецькою мовою влітку 2020 року, і за яку перекладачка Клаудіа Дате була відзначена „Премією Драгоманова“.
Claudia Dathe wird an dem Abend zu Gast sein und kenntnisreich sowohl von ihrer Arbeit als Übersetzerin berichten, als auch – als gute Kennerin der Ukraine – eine Einordnung der gegenwärtigen Situation vornehmen. Außerdem wird sie das Gesprochene zusammenfassend ins Ukrainische und Russische übersetzen, so dass der Abend inhaltlich auch auf Russisch oder Ukrainisch verfolgt werden kann und wir zu einem dreisprachigen Publikumsgespräch einladen können. (Hierzu ist anzumerken, dass Oleg Senzow, der von der Krim kommt und mittlerweile in Kiew lebt, auf Russisch schreibt, während Serhiy Zhadan in Charkiw lebt und arbeitet und auf Ukrainisch schreibt.)
Клаудіа Дате запрошена на цей вечір, фахово розповідатиме про свою роботу перекладачки, і – як велика знавчиня України – спробує осмислити теперішню ситуацію. Поза тим, вона перекладатиме розмову українською та російською мовами, щоб зміст вечора міг бути доступним українською та російською, і ми могли запросити публіку до дискусії трьома мовами.
Oleg Senzow: Haft. Aus dem Russischen von Claudia Dathe
145 Tage lang war der ukrainische Regisseur und Maidan-Aktivist Oleg Senzow im Hungerstreik. In dieser Zeit hat er Tagebuch und Kurzgeschichten geschrieben. Seine Schilderungen geben Einblick in den Alltag in der russischen Strafkolonie »Eisbär« in Labytnangi Polarkreis, in der er seine Lagerstrafe bis zu seiner vorzeitigen Freilassung verbüßen musste. Senzow beschreibt die körperlichen Veränderungen, die während der ausgesetzten Nahrungsaufnahme mit ihm vor sich gehen, das launische Wetter in dieser unwirtlichen Gegend, seine Lektüren und die Erinnerungen an die Revolution auf dem Maidan im Winter 2013/14, an der er unmittelbar beteiligt war. Er porträtiert Mitgefangene und beleuchtet die Mechanismen eines brutalen und menschenverachtenden Rechts- und Haftsystems, in dem der betreuende Lagerarzt Senzows einzige vertrauenswürdige Stütze ist.
Oleg Senzow, geb. 1976 in Simferopol auf der Halbinsel Krim, ist ukrainischer Autor und Filmemacher. Am 11. Mai 2014 wurde er mit drei weiteren Aktivisten wegen angeblicher terroristischer Handlungen vom russländischen Inlandsgeheimdienst FSB festgenommen. Er wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Menschenrechtsorganisationen schätzten das Verfahren und Urteil als politisch motiviert ein und stellten gravierende Verstöße gegen internationale Rechtsnormen fest. Im September 2019 wurde Senzow nach einem großen Gefangenenaustausch freigelassen und ist in die Ukraine zurückgekehrt.
Serhiy Zhadan: Antenne. Gedichte. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe
Was kann und soll die Literatur, wenn Krieg ist? Auf welche Sprache greifen die Dichter zurück? Taugen ihre Instrumente, um dem zum Ausdruck zu verhelfen, »was Angst macht«? Seit vor sechs Jahren die Kämpfe in der Ostukraine begannen, hat Serhij Zhadan die Bewohner in unzähligen Auftritten zu Mut und Resilienz ermutigt und sich mit sozialen Projekten engagiert. Er, der populärste ukrainische Schriftsteller, hat keine existentielle Herausforderung gescheut, um sich eine starke lyrische Stimme zu erarbeiten, die in langen, songhaften Gedichten das vermeintlich Unsagbare in rätselhaft schöne Bilder fasst. In seinem neuen Buch gedenkt er auch seines verstorbenen Vaters, er findet einen Ton, um über die Unvermeidlichkeit des Todes und den Schmerz der Liebe zu sprechen, und über die Trauer, »die auch hell sein kann«, weil sie uns auf einen verborgenen Sinn verweist.
Serhij Zhadan, 1974 im Gebiet Luhansk/Ostukraine geboren, studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw. Er debütierte als 17-Jähriger und publizierte zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Für Die Erfindung des Jazz im Donbass wurde er mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis und mit dem Brücke-Berlin-Preis 2014 ausgezeichnet (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum »Buch des Jahrzehnts«. Zhadan lebt in Charkiw, Ukraine.
Claudia Dathe, 1971, übersetzt Literatur aus dem Russischen und Ukrainischen, u.a. von Andrej Kurkow, Serhij Zhadan, Ostap Slyvynsky und Yevgenia Belorusez. Im Jahr 2020 wurde sie zusammen mit Yevgenia Belorusez für das Buch „Glückliche Fälle“ mit dem Internationalen Literaturpreis und 2021 für die Übersetzung von Serhij Zhadans Gedichtband „Antenne“ mit dem Drahomán-Preis ausgezeichnet.
Moderation: Dr. Frederike Jacob
Eintritt frei | Gewünscht: FFP2-Maske