Jürgen Brôcan: Ritzelwellen
Die Poesie, sagt Jean-Pierre Siméon sinngemäß, ist der ständige Aufstand des Bewusstseins gegen das Vergessen. Gedichte sind deshalb unersättlich neugierig, sie möchten sich am liebsten alles (und alles auf einmal) einverleiben. Vielleicht wurden Reim und Metrum nicht nur zum Beweis der Kunstfertigkeit erfunden, sondern auch, um diese Neugier zu bändigen.
Dass tiefste Bedeutungen in wenigen Silben Platz finden können, haben die chinesischen und japanischen Dichter gezeigt. Das globale Gedicht sucht den großen Zusammenhang. Doch wieviel passt hinein, ohne dass man Unförmigkeit oder Unverständlichkeit riskiert? Und nach welchem Maß? Das Gedicht sollte beweglich und verständlich bleiben und sich gleichzeitig gegenüber Leserinnen und Lesern, die mehr ›Tiefenschichten‹ suchen, offen zeigen. (Jürgen Brôcan)
„Brôcan ist ein Poeta doctus, eine unverwechselbare Stimme im Kosmos der heutigen Lyrik. Viele Terzinen-Gedichte, die leichtfüßig die Gegenwart aufnehmen, klingen nach. Man legt das schön gestaltete Buch mit Unruhe aus der Hand, um immer wieder darauf zurückzukommen.“ (Matthias Buth, Ostragehege, 1/2021)
Jürgen Brôcan, geb. 1965 in Göttingen, lebt seit 2003 in Dortmund als Lyriker, Essayist, Übersetzer, Literaturkritiker und Herausgeber. Zu seinen Auszeichnungen gehören neben zahlreichen Stipendien der Paul-Scheerbart-Preis, der postpoetry.NRW und der Literaturpreis Ruhr. Gedichtbände: Ortskenntnis. Gedichte 1994- 2006. (EA: 2008) Dortmund 2020. Antidot. Berlin u. Hörby 2012. Holzäpfel. Berlin 2015. Schädelflüchter (EA: 2015). Dortmund 2020. Wacholderträume. Berlin 2018. Ritzelwellen. München 2020. Atemfrequenzen. München 2022 (i.V.)